50 Jahre Kasbek-Ensemble

West-Berlin, Anfang der 1960er Jahre: Nicht erst nach dem Bau der Mauer ist man hier auch kulturell den westlichen Schutzmächten zugewandt. Während die Jugend auf englische und amerikanische Popmusik fixiert ist, verblüffen drei junge Straßenmusiker mit russischer Folklore. Frieder Breitkreutz (Geige), Andreas Karpen (Balalaika) und Christian Müller (Kontrabass-Balalaika) müssen dem Publikum auf dem Kurfürstendamm wie Wesen von einem anderen Stern vorkommen.

Dem Publikum in den russischen Emigranten-Kneipen rund um den Halensee erscheinen die Instrumente der drei jungen Musiker hingegen weit weniger exotisch. In diesen Kreisen entstand wohl auch in den 1920er Jahren jenes Lied, das dem Ensemble seinen Namen gibt. „Kasbek“ bezieht sich auf den von russischen Romantikern verklärten Berg im Kaukasus.

In der West-Berliner Folk-Szene, die ab Mitte der 1960er-Jahre ein großes Publikum in Musiklokale wie „Ca ira“, „Folk Pub“, „Go-In“ oder „Steve-Club“ lockt, macht sich Kasbek in variierender Besetzung schnell einen Namen. Ende der 1970er Jahre kommt Sängerin Fanja dazu, Lieder der Roma erweitern das Repertoire erheblich.

Im Unterschied zu vielen Folk-Musikern, die in jenen Jahren national und international Karriere machen, bleiben die „Berliner Russen“ relativ bodenständig. Sie leben auch nicht von ihrer Musik. Bis auf eine Tournee mit den Bolschoi-Don-Kosaken dienen Reisen durch Europa mehr dem Spaß und der Erweiterung des eigenen Horizonts. Irland, wo die Gruppe unter dem Namen The Russian Folk auf begeisterte Zuhörer trifft, Frankreich, Griechenland, Russland und das damalige Jugoslawien sind die wichtigsten Destinationen. Vor allem der Balkan übt in musikalischer Hinsicht große Faszination auf die Musiker aus. Es gibt gemeinsame Auftritte mit der Tanzgruppe „Faux Pas“, für die ungeraden Rhythmen im Ensemble sorgt eine Weile der albanische Trommler Bekir Bekiri.

1984, Fanja hat Berlin aus beruflichen Gründen verlassen, stößt die Gruppe auf Uwe Sauerwein, der als Solist mit jiddischen Liedern und Geschichten auftritt. Als Sänger und Gitarrist verstärkt er fortan das Ensemble, das sich dadurch mehr der jüdischen Musik zuwendet und damit, weil in Deutschland Klezmer noch recht unbekannt ist, großes Interesse erfährt.

Man gastiert unter anderem mit der Sängerin und Schauspielerin Ana Fonell bei den Jüdischen Kulturtagen in Berlin. Akkordeon-Virtuose Alan Bern, der später einer der wichtigsten Köpfe des weltweiten Klezmer-Revivals wird, unterstützt eine Weile die Gruppe, man teilt mit internationalen Größen wie Joel Rubin, Giora Feidman oder den Klezmatics die Bühne. Jan Deckers, ein Klarinettist aus den Niederlanden, ist zwischenzeitlich ebenfalls Kasbek-Musiker. In den letzten Tagen der DDR kommt es zu ersten Kontakten mit gleichgesinnten Künstlern aus Ost-Berlin, wo Kasbek unter anderem, laut Vertrag als „Volkskunstkollektiv“ aus dem kapitalistischen Ausland, bei den Tagen der Jiddischen Kultur auftreten darf.

Nach dem Fall der Berliner Mauer avanciert die Stadt vor allem durch die zahlreichen jiddischen Solisten und Bands aus dem ehemaligen Ostteil, aber auch durch jüdische Zuwanderer aus der früheren Sowjetunion zur europäischen Klezmer-Metropole. In dieser quicklebendigen Szene ist Kasbek das älteste Ensemble und zählt gleichwohl zu den temperamentvollsten Bands.

Im Musik-Wettbewerb „Musica Vitale“, der vom Berliner Senat unterstützt wird, belegt Kasbek 1995 den zweiten Platz unter mehr als 40 Teilnehmern. In der Begründung der Jury heißt es: „Kasbek spielen nicht Musik, sie sind Musik.“ Im Gremium sitzt Cherif Khaznadar, Direktor des Maison des Cultures de Monde in Paris, der sich spontan entschließt, mit Kasbek eine CD zu produzieren. „Klezmer á la russe“ erscheint 1996 beim französischen Label Inedit und wird in sechs Konzerten in Paris vorgestellt. Da die Franzosen das Album weltweit vertreiben, wird es der international bekannteste Tonträger der „German Balalaika Devils“, wie ein anonymer amerikanischer Rezensent im Internet schreibt.

Ein ganz wichtiger Spielort in Berlin ist ab 1993 das Hackesche Hoftheater. „Jiddische Musik an historischem Ort“ heißt die Reihe in den Hackeschen Höfen, die zu Beginn noch eine triste Baustelle sind, sich aber bald zum Hot Spot der Hauptstadt entwickeln. Die Konzerte, meist zu später Stunde nach den Theatervorstellungen, erlangen internationale Berühmtheit. Bis zur Schließung des Theaters Anfang 2006 zählt Kasbek dort zum festen Stamm der auftretenden Künstler.

1999 feiert das Quartett beim Festival „Mela Musique“ im Pariser Stadtteil La Vilette große Erfolge, im Gepäck die neue CD „Bagels & Bublitschki“, kein reines Klezmer-Album, sondern die Kasbek-Mischung aus Jiddisch, Russisch und Balkan, veröffentlicht beim Berliner Label Raumer Records.

Einige Musiker sind beruflich eingespannt, Anfragen für Gastspiele müssen nicht selten abgelehnt werden. Dem Arzt, dem Pfarrer, dem Architekten und dem Journalisten geht es nicht darum, möglichst viele Konzerte zu spielen. Die Sehnsucht nach unbekannten Klängen, die Lust, immer wieder Neues zu probieren bzw. bekannte Melodien in neuem Licht zu sehen, ist ungebrochen.

In der Heilandskirche in Berlin-Moabit initiieren die Kasbeks die Konzertreihe „Klangkarawane“, bei der sie sich jeweils einen Abend mit einem anderen Ensemble teilen. Von Türkisch bis Irisch trifft man dabei auf die unterschiedlichsten Musikrichtungen, am Ende eines jeden Konzertes erfolgt, mit Spannung erwartet, eine gemeinsame Zugabe. 2009 wird im Studio Dr. Heinze, einem befreundeten Musiker und Zahnarzt, die CD „Fiesselech“ aufgenommen, sie erscheint wieder bei Raumer Records.

Sehr oft erlebt man die Kasbeks in Brandenburger Dorfkirchen, wo die meist hervorragende Akustik und die Begeisterung des Publikums für die längere Anreise entschädigen.

Mehrfach tritt man in Bamberg auf, bei den dort einmal jährlich stattfindenden Klezmertagen. Einmal erweitert dabei die ägyptische Musikerin Hanan El-Shemouty das Kasbek-Programm, ein späteres Mal die frühere Kasbek-Sängerin Fanja. Selbstverständlich ist Fanja auch von der Partie, als Kasbek in einem historischen Ballsaal, dem Labsaal im Berliner Ortsteil Lübars, Anfang 2017 vor ausverkauftem Haus 50-jähriges Jubiläum feiert.

Dass Musizieren jung hält, trifft auch bei diesem Ensemble zu, wo die Mehrheit der Mitglieder bereits die 75 überschritten hat. Doch selbst die Kasbeks bleiben vor gesundheitlichen Beeinträchtigungen leider nicht verschont. So muss die Gruppe seit Mitte 2018 ohne ihren Bassisten Christian auskommen. Reiner Rowald, altbewährter Berliner Liedermacher und am Kontrabass schon bei Saranda und der Wedding Klezmer Band aktiv, liefert seit Herbst 2019 die tiefen Töne. Nicht nur altersmäßig passt Reiner wunderbar in die Gruppe. Tapfer arbeitet er sich ins riesige Kasbek-Repertoire. Und Uwe freut sich, nach 36 Jahren endlich nicht mehr das „junge Talent“ zu sein…

Nun denn, auf die nächsten 55 Jahre!

 

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